Wir sind morgens gegen halb 8 hier in Ladysmith losgefahren und haben uns auf den Weg nach eShowe gemacht. Unser Heimleiter, den wir hier alle Dumeni (Afrikaans für Pfarrer) nennen, betreut noch weitere Projekte in der Region KwaZuluNatal und diese fährt er mindestens ein Mal im Monat besuchen. Da er aber eine starke Sehschwäche hat und deshalb nicht fahren darf, wurde Christoph zu seinem persönlichen Fahrer deklariert. Wir durften ebenfalls mitfahren, damit wir mal mehr von der Region sehen. Der Dumeni hatte unsere Route so abgeändert, dass wir über Pietermaritzburg und Durban nach eShowe gefahren sind. Wir haben uns sehr gefreut, da wir dadurch kurz an den Strand durften. Hier sollten nun eigentlich ein paar Photos vom Strand in Durban kommen, nur leider wurde uns vom einem der Kinder meine Kamera samt Speicherkarte geklaut. Aus diesem Grund müsst ihr wohl mit folgenden Fotos von Christophs Kamera vorlieb nehmen!
Gegen zwei Uhr sind wir dann in eShowe angekommen und hatten das erste Mal im vergangenen Monat das Gefühl, wirklich in Afrika angekommen zu sein. Das Kinderheim liegt etwas außerhalb von eShowe mitten im Nichts, sodass die Autofahrt die letzten 10 Minuten eher abenteuerlich war. Generell sind die Straßen in einem überraschend guten Zustand, sodass es unsere erste längere Fahrt über eine unbefestigte Straße war – dementsprechend lustig war es auch, zumal ich leider keinen Anschnaller hatte und mir große Mühe geben musste, nicht die Autodecke von unserem VW-Golf zu küssen.
Im Kinderheim angekommen haben wir uns sofort wohl gefühlt – und das, obwohl die Kinder uns mit riesigen Augen angestarrt und zu Beginn auch kein Wort gesagt haben. Wir haben uns zwar schnell mit ihnen angefreundet, aber es war trotz allem ein großer Kontrast zu „unserem“ Kinderheim in Ladysmith, wo wir von den Kindern sofort mit stürmischen Umarmungen und tausenden von Fragen empfangen worden waren. Doch im Gegensatz dazu sprechen die Kinder in eShowe bis auf ein paar Brocken Englisch nur Zulu und manche haben möglicherweise zum ersten Mal in ihrem Leben mehrere Weiße auf einmal gesehen. Es gibt nur schwarze Kinder in diesem Kinderheim und alle dreißig Kinder sind Vollwaisen – das ist die Bedingung zur Aufnahme, welche durch die Unterstützer des Kinderheims gestellt wurde. Mal abgesehen von der atemberaubenden Landschaft und der Stille, die das Gelände umgibt, hatten wir zum ersten Mal die Gelegenheit in die Zulu-Kultur einzutauchen. Bei unserer Ankunft gab es sofort Tee und Sandwiches. Es ist üblich, die Gäste zuerst essen zu lassen (und sich dabei in einem anderen Raum aufzuhalten), damit sie sich satt essen können. Das, was übrig bleibt, wird dann vom Gastgeber selbst gegessen. Dann haben wir mit den Kindern gespielt, was unglaublich schön war! Die Kinder hier können (im Gegensatz zu den Kindern in Ladysmith) nämlich wunderbar miteinander spielen. Es wird gesungen, geklatscht, getanzt und viel gelacht – trotz der Sprachbarriere konnten und durften wir sofort mitspielen! Da es nur 30 Kinder gibt, ist der Zusammenhalt zwischen den Kindern sehr groß und die größeren Kinder kümmern sich wie große Geschwister sehr rührend um die Kleineren!
Melle und ich wollten uns um halb vier nur „kurz“ hinlegen. Aus der geplanten halben Stunde wurden dann zweieinhalb Stunden und wir wurden sehr unsanft durch helles Licht und eine Horde Kinder geweckt. Meine anfänglich schlechte Laune hat sich aber ganz schnell gelegt, als wir zum Beten in den Gemeinschaftsraum kamen und erstmal von mehrstimmigem Gesang auf Zulu begrüßt wurden. Diese Kinder haben einfach ein beeindruckendes Gespür für Gesang und Rhythmus! Jedes Kind scheint seine Tonlage zu wissen, sodass das gleiche Lied quasi mehrstimmig gesungen wird. Zudem bauen einzelne Kinder, die besonders gut singen können, zwischendurch kleine Soli ein. Nach einer „kurzen“ Predigt durch den Dumeni und das anschließende Abendgebet gab es ein sehr großes Abendessen mit vielen verschiedenen Gerichten, die wir nicht kannten und deren Namen wir immer noch nicht kennen. Sagen wir so: das Rote, was wir für Tomatenwürfel gehalten hatten, war entweder etwas anderes oder EXTREM scharf gewürzt. Ich musste dreimal Reis nachnehmen, weil ich zu jedem großen Löffel Reis nur ein winziges Bisschen des scharfen Zeugs nehmen konnte.
Anschließend haben wir zu dritt in Melle und meinem Zimmer rumgeblödelt, während der Dumeni sein Meeting mit der Managerin Lindile hatte. Lindile hat eine Form von chronischer Tuberkulose und war erst an diesem Tag aus dem Krankenhaus zurückgekehrt. Dementsprechend war die überraschend junge und zierliche Frau noch geschwächt, hatte jedoch trotzdem immer ein Lächeln auf den Lippen. Am nächsten Morgen sind wir dann um 7 Uhr wieder abgereist, allerdings nicht ohne ein Lunchpaket, dass für die nächsten drei Tage gereicht hätte. Wir werden auf jeden Fall wieder dorthin zurückkehren und jeder von uns wird einen Monat dort verbringen, um Zulu zu lernen!
Unsere Autofahrt auf dem Rückweg verlief dann nicht so ruhig wie die Vorherige. Bei dem Versuch, einen LKW zu überholen, kam uns ein ziemlich schnelles blaues Auto entgegen. Obwohl auf südafrikanischen Straße locker drei – normale – Autos nebeneinander passen, hielt der andere es nicht für nötig ein wenig auszuweichen, sodass wir beinahe einen Frontalcrash hatten. Ich war kurz vor dem Nervenzusammenbruch (kein Anschnaller!), obwohl uns das auch nicht viel gebracht hätte, da es in dem Auto keine Nackenstützen gibt. Gott sei Dank haben wir es noch rechtzeitig geschafft, vor dem LKW einzuscheren und haben zum ersten Mal verstanden, wieso der Dumeni mit uns vor jeder Fahrt beten wollte. Netterweise wurde aber an der nächsten Tankstelle mein Anschnaller gerichtet, sodass mein Puls sich wieder etwas beruhigte. Kurze Zeit später sind wir dann in eine Polizeikontrolle geraten. Uns wurde allen etwas warm als wir Christophs Papiere nicht finden konnten und Christoph hat den Polizisten erst einmal eine Weile mit Smalltalk hingehalten während ich unter dem Vordersitz rumgekramt habe, wo der Führerschein hätte sein sollen. Im Gegensatz zur deutschen Polizei vermutete der südafrikanische Beamte nicht sofort eine Waffe unter dem Vordersitz sondern erzählte uns ausführlichst von seinem unglaublich anstrengenden Tag mit den vielen vielen Autos auf den Straßen. Dann bat er uns darum, hinter einem Minibus anzuhalten damit sein Kollege unsere Daten im System überprüfen könnte. Mittlerweile war uns auch wieder eingefallen, dass ich den Pass und den deutschen Führerschein am Tag zuvor in meinen Koffer gepackt hatte, damit sie auf keinen Fall wegkommen (haha) – der internationale Führerschein blieb erstmal verschwunden (Melle hat ihn dann später zwischen einer Menge Flyer wiedergefunden). Daraufhin sagte Christoph dem neuen Beamten, er müsse erst seine Sachen aus dem Kofferraum holen und schaltete das Auto ab. Vollkommen auf den Polizisten fixiert hörte er Melles „Wir rollen, wir rollen, WIR ROLLEN!“ und mein hysterisches „Brems, brems, BREMS!“ leider erst, als wir schon hinten auf dem Minibus draufhingen. Jeder halbwegs normale deutsche Beamte hätte einen höflich dazu aufgefordert, doch bitte in das Auto mit dem hübschen blauen Streifen einzusteigen. Nicht so der südafrikanische Beamte: der sah sich das Ganze kurz an und meinte dann ackselzuckend: „Nichts passiert, setz mal wieder ein Stück zurück!“ Beim Anblick von Christophs Führerschein kam dann „Mit dir können wir eh nichts anfangen, deine Nummer ist eh nicht in unserer Datei drin“ und wir durften weiterfahren.Danach haben wir bestimmt 10 Minuten lang hysterisch gelacht und besonders Christoph war unglaublich froh, als wir endlich in Newcastle ankamen!! (Er darf den Dumeni übrigens trotz allem noch fahren xD)
In Newcastle haben wir als Erstes die Teenager-Unit angeschaut und waren ziemlich schockiert. Gerade nach der liebevollen und gastfreundlichen Begrüßung in eShowe war die Art, mit der wir willkommen geheißen wurden, eher schroff. Nachdem wir zu Mittag gegessen hatten, durften wir eigenständig auf „Entdeckungstour“ gehen (da keiner auftauchte, der uns hätte rumführen können). Die Kinder waren zu der Zeit noch in der Schule, weshalb wir auch Niemanden hatten, mit dem wir uns hätten unterhalten können. Es war sehr schnell klar, dass in diesem Kinderheim vermutlich ein paar andere Regeln herrschen. Keines der Mehrbettzimmer (mindestens 4, maximal 8 Betten) hatte eine Tür und die Zimmer waren nach oben hin offen, Privatssphäre ist dort also anscheinend ein Fremdwort. Die Kinder hatten statt Schränken einen etwas größeren Spind mit einem Vorhängeschloss auf dem Gang und das Gemeinschaftsbad mit 2 Duschen und 4 Toiletten war in einem miserablen Zustand!! Jungen und Mädchen waren selbstverständlich wieder getrennt untergebracht. Da einige der Kinder im Kinderheim eine (wenn auch verbotene) Beziehung führen, ist das auch sehr sinnvoll. Nachdem wir die folgenden drei Stunden mit Nichtstun verbracht hatten, ging es endlich in Richtung Babyunit weiter.
Bei der Babyunit handelt es sich um ein normales Wohnhaus, in dem sich vier sehr junge Betreuerinnen (Durchschnittsalter 25 Jahre) unterstützt durch die Gründerin des Projekts um sechs Babies im Alter von sechs Monaten bis anderthalb Jahren kümmern. Es war das erste Projekt, wo man das Gefühl hatte, dass die Kinder wirklich perfekt betreut werden. Natürlich geben sich die Leute in allen Projekten Mühe, aber meist sind es einfach zu viele Kinder für eine Tannie und die räumlichen Voraussetzungen sind alles andere als ideal – nicht so in diesem Projekt. Die Kinder kommen in dieses Haus, weil Familienmitglieder sie abgeben, sie im Krankenhaus zurückgelassen werden oder man sie in einem Mülleimer gefunden hatte. Manche der Kinder sind durch Vergewaltigungen entstanden, weshalb die Mütter sie nicht behalten wollen. Eines der Kinder war sogar hergebracht wurden, weil es mit seinem 11-jährigen Bruder zurückgelassen worden war. Das Ziel des Projekts ist es, Adoptiv- oder Pflegeeltern für die Kinder zu finden.
In diesem Projekt gab es zum ersten Mal eine Situation, die mir richtig unter die Haut gegangen ist. Ich hatte ein kleines wunderschönes Mädchen auf dem Schoß, dass sehr kuschelig war und nie gelächelt hat. Als es Kekse gab, hat dieses kleine Ding doch tatsächlich 8 ganze Kekse in sich reingeschaufelt. Die Gründerin des Projekts hat uns dann erzählt, dass das Mädchen zwei Wochen zuvor verdreckt und abgemagert von der Großmutter abgegeben worden war und sie vermutet, dass es lange Zeit nicht genug zu essen bekommen hatte. Es war einfach herzzereißend zu sehen, wie die Kleine einen Keks nach dem anderen in sich reinstopfte und jedes Mal erbärmlich anfing zu schreien, wenn sie keinen mehr hatte. Im Endeffekt hat sie auch noch meine drei Kekse gegessen. Sie vertraute mir zwar soweit, dass ich von den Keksen auch abbeißen durfte, aber sie musste ihn in ihrer kleinen Hand halten. Doch das Traurigste war, als es keine Kekse mehr gab. Ich hatte in meiner Hand alle Krümel aufgefangen, damit der Boden nicht dreckig wird – die Kleine hat mir alle Krümel aus der Hand gegessen, jeden noch so winzigen Krümel und unglaublich darunter gelitten hat, dass es nichts mehr zu Essen gab. Irgendwie hatten wir sehr schnell ein recht enges Band geknüpft und so bin ich die nächsten zwei Stunden mit dem Kind auf dem Arm rumgelaufen. Sobald ich sie absetzen oder jemand Anderem geben wollte, fing sie wieder furchtbar an zu schreien. Selbst als wir mit den Betreuerinnen rumgeblödelt, getanzt und gesungen haben, war sie immer auf meinem Arm und hat sich in meiner Halsbeuge versteckt. (Ja, ich habe mich in die Kleine verliebt!) Der schlimmste Moment war der Abschied! Zwar können wir rein theoretisch auch in diesem Kinderheim einige Zeit verbringen, aber es ist schlecht für das Kind wenn es sich zu sehr an eine Betreuerin bindet. Die Kleine hat einfach nur wie am Spieß geschrien als wir gegangen sind und ich hätte sie am liebsten mitgenommen!
Mittlerweile wurde es schon dunkel, aber wir mussten aufgrund einer Krise nochmal zur Teenager-Unit fahren. Am Nachmittag war einer der älteren Jungen aus dem Kinderheim rausgeflogen, den wir wieder mit zurück nach Ladysmith nehmen sollten, wo seine Familie lebt. (Dieser hat vermutlich auch meine Kamera geklaut.) Zudem war eine der Beziehungen aufgeflogen, weshalb das Paar vor die Wahl gestellt wurde: entweder der Junge oder das Mädchen geht. Es war der Junge, der gehen musste und so hat sich Melle wirklich rührend um das zurückgelassene Mädchen gekümmert. Dabei haben wir rausgefunden, dass sie die große Schwester von mehreren Kindern aus „unserem“ Kinderheim ist. Generell gibt es viele Kinder in der Teenager-Unit, die ihre kleinen Geschwister bei uns zurücklassen mussten. Wird man für unser Kinderheim zu alt oder braucht eine spezielle Schule aufgrund von Lernstörungen, so wird man normalerweise nach Newcastle „versetzt“, weil dort die schulischen Möglichkeiten besser sind. Aus familiären Gründen und auch aufgrund begrenzter Platzkapazitäten gibt es aber auch bei uns auf dem Gelände zwei Teenager-Häuser. Gegen 19 Uhr war die Krise endlich soweit beseitigt, dass wir abfahren konnten. Von Newcastle aus dauert es circa anderthalb Stunden bis Ladysmith, wobei wir die meiste Zeit mit Fernlicht fahren mussten, da Straßenlaternen für Landstraßen hier noch nicht erfunden wurden. Blöd war nur, dass der Gegenverkehr im Gegensatz zu uns nicht so rücksichtsvoll war und sein Fernlicht ausmachte wenn ihnen jemand entgegenkam, sodass wir dann immer für kurze Zeit blind durch die Gegend fuhren. Am Ende waren wir sehr froh, endlich wieder „Zuhause“ anzukommen.
Die beiden Tage waren einfach wunderschön, weil wir endlich mal rauskamen! Da wir immer noch keinen Schlüssel für das Tor zum Kinderheim haben, müssen wir immer um den Schlüssel bitten, wenn wir das Gelände verlassen. Dadurch kommt man sich ziemlich eingesperrt vor, zumal es in Ladysmith verhältnismäßig sicher ist und man in einer größeren Gruppe so ziemlich überall hingehen kann. Deshalb waren wir Nellie also sehr dankbar, dass sie uns erlaubt hatte auf diesen Kurztrip mitzufahren und wir freuen uns schon auf unseren nächsten Aufenthalt in eShowe und Newcastle. Ich hoffe, dass es euch allen gut geht. Ich denke an euch!